The Far Shore

Liederabend

Anna El-Khashem und Keval Shah erkunden Formen des kulturellen Austauschs und der Begegnung des (vermeintlich) Fremden in Liedern von Georges Bizet, Frank Bridge, Ernest Chausson, Reena Esmail, Fairuz, Gabriel Fauré, Reinhold Glière, Richard Hageman, Nikolai Rimski-Korsakow, Anton Rubinstein, Kamala Sankaram und Robert Schumann.

Anna El-Khashem (Sopran Programmgestaltung)
Keval Shah (Klavier, Programmgestaltung)

  • Kamala Sankaram: «The Far Shore» (nach Mirabai) 

    Nikolai Rimski-Korsakow: «Песня Зюлейки» («Suleikas Lied»), op. 26/4 (nach Iwan Koslow) 

    Robert Schumann: «Lied der Suleika», aus Myrthen, op. 25/9 (nach Marianne von Willemer) 

    Anton Rubinstein: «Нераспустившийся цветочек» («Neig, schöne Knospe, dich zu mir!»), aus 12 Lieder des Mirza-Schaffy, op. 34/8 (nach Mirza-Schaffy/Friedrich Martin von Bodenstedt) 

    Frank Bridge: «Speak to me, my love», aus 3 Songs of Rabindranath Tagore (nach Rabindranath Tagore)

    Gabriel Fauré: «Les Roses d'Ispahan», op. 39/4 (nach Charles Leconte de Lisle) 

    Anton Rubinstein: «Зулейка» («Suleika»), aus 12 Lieder des Mirza-Schaffy, op. 34/1 (nach Mirza-Schaffy/Friedrich Martin von Bodenstedt) 

    Ernest Chausson: «Le colibri», op. 2/7 (nach Charles Leconte de Lisle) 

    Robert Schumann: «Aus den östlichen Rosen», aus Myrthen, op.25/25 (nach Friedrich Rückert) 

    Reena Esmail: «जूता…» («Shoe»), aus छू टी हुई जगह (Der Zwischenraum; nach Manav Kaul) 

    Anton Rubinstein: «Клубится волною кипучею Кур» («Gelb rollt mir zu Füssen der brausende Kur»), aus 12 Lieder des Mirza-Schaffy, op. 34/9 (nach Mirza-Schaffy/Friedrich Martin von Bodenstedt) 

    Georges Bizet: «Adieux de l'hôtesse arabe» (nach Victor Hugo) 

    Fairuz: «لبيروت» («To Beirut») (nach Joseph Harb) 

    Reinhold Glière: «Восточная песнь» («Orientalisches Lied»), op. 28/2 (nach Nikolai Minski)

    Richard Hageman: «Do not go, my love» (nach Rabindranath Tagore) 

    Fairuz: «أعطني الناي وغن» («Bring mir die Flöte und sing’») (nach Khalil Gibran)

Thoughts on the Programme

Keval Shah, August 2025

When Anna and I were designing this programme, we were interested in how our perspectives and experiences as artists with non-European heritage shape our relationship with Lied repertoire, and how the world of song might be shaped in future by the more multicultural and globalised society in which it now exists. To explore this, we had to begin by examining how the relationship between European and extra-European cultures has been expressed in Lied repertoire, and here there is a wealth of music to choose from: significant poets in the Lied canon such as Goethe, Mayerhofer, Rückert and Daumer were all fascinated by the literary and artistic cultures of Persia, and this was an interest shared by composers like Schubert, Schumann, Brahms and others. In France, too, orientalism and exoticism became core aesthetic passions for generations of poets and composers across the 19th and early 20th centuries. In all of these cases, European poets and composers are adopting techniques and imagery from an ‘imagined’ sense of distant lands into their work, constructing poetic and musical ‘distance’ in order to capture the allure and mystery of being ‘In der Fremde’ (to borrow a line from Schumann).

  • As European imperialism spread across the world, cultural sharing between colonising and colonised lands continued to grow, and so there are also countless examples of European composers in the 19th and 20th centuries setting poetry (often in translation) from writers in India and the Middle East. What emerges from this is a rich and fascinating body of Lied repertoire which contains the cultural DNA of multiple peoples and places. The European Lied starts to bring cultures together, blurring geographic and political boundaries, and offering a musical soundtrack to an emerging international society.

    Of course, though, this cultural interplay was for a long time being done in a way which prioritised European perspectives, not always respecting the authenticity of the other musical and literary cultures from which it borrowed, and often revelling in the sense of ‘distance’ that could be created through fetishising the ‘exotic.’ What could have been a project of multicultural equality often ended up stereotyping non-European cultures in a way which does not do justice to those peoples. 

    But the story does not end here, because one of the key legacies of the project of empire is the large diasporic communities of people from former colonies now living across the world. The distance between European and non-European cultures is vanished in an instant by these communities, who contain within themselves the meeting and melding of numerous cultures and perspectives. For Anna, Lebanese and Russian cultures sit side-by-side, just as British and Indian cultures are tied together in me. This ‘meeting’ of cultures is also visible in a new generation of Lied composers, such as Reena Esmail and Kamala Sankaram, both of whom have Indian heritage. Their artistic vision is one which allows for these different and formerly ‘distant’ cultures to meet in sound, combining elements of Indian classical music with elements of the European Lied, crafting a new and distinctive dialect that arises from a deep and sustained interest and education in music from both cultures. 

    The story of the evolution of Lied is the story of our society, a multicultural and global community, brought together through the reciprocal sharing of our cultures. In doing so, places and people who seem distant are brought closer to us, our understanding is deepened, our humanity is strengthened, and the ‘far shores’ (to borrow a title from Kamala Sankaram) are reached safely, and made familiar for everyone. 

Gedanken zum Liedprogramm

Keval Shah, August 2025

Als Anna und ich dieses Programm entwarfen, interessierte uns, wie unsere Perspektiven und Erfahrungen als Künstler*innen mit nicht-europäischem Hintergrund unsere Beziehung zum Liedgut prägen und wie sich die Welt des Liedes durch die multikulturellere und globalisierte Gesellschaft, in der es heute existiert, künftig verändern könnte. Um dies zu erforschen, galt es zunächst zu untersuchen, wie das Verhältnis zwischen europäischen und aussereuropäischen Kulturen im Liedgut zum Ausdruck gebracht worden ist. Hier gibt es eine Fülle an Musik zu erkunden: Bedeutende Dichter des Liedkanons wie Goethe, Mayerhofer, Rückert und Daumer waren fasziniert von Literatur und Kunst der Kulturen Persiens – und dieses Interesse teilten Komponisten wie Schubert, Schumann, Brahms und andere. Auch in Frankreich wurden Orientalismus und Exotismus zu zentralen ästhetischen Leidenschaften ganzer Generationen von Dichter*innen und Komponist*innen des 19. und frühen 20. Jahrhunderts. In all diesen Fällen eigneten sich europäische Dichter*innen und Komponist*innen Techniken und Bilder einer imaginierten Ferne an, wobei sie dichterische und musikalische ‚Distanz‘ konstruierten, um so den Reiz und das Geheimnis des „In der Fremde“-Seins (um eine Zeile von Schumann zu entlehnen) einzufangen.

  • Mit der Ausbreitung des europäischen Imperialismus über die Welt intensivierte sich auch der kulturelle Austausch zwischen kolonialisierenden und kolonisierten Ländern, sodass es unzählige Beispiele für Vertonungen von Gedichten (oft in Übersetzung) aus Indien oder dem Nahen Osten durch europäische Komponist*innen des 19. und 20. Jahrhunderts gibt. Es entstand dadurch ein reiches und faszinierendes Liedgut, das die kulturelle DNA zahlreicher Völker und Regionen in sich trägt. Das europäische Lied begann, Kulturen zusammenzuführen und geografische wie politische Grenzen zu verwischen: es schuf sozusagen den „Soundtrack“ zu einer im Entstehen begriffenen internationalen Gesellschaft. 

    Allerdings stellte dieser kulturelle Austausch natürlich lange Zeit die europäischen Perspektiven in den Vordergrund, ohne immer die Authentizität der anderen musikalischen und literarischen Kulturen zu respektieren, aus denen man schöpfte. Man ergötzte sich an jener ‚Distanz‘, die durch die Fetischisierung des ‚Exotischen‘ erzeugt wurde. Was ein Projekt multikultureller Gleichwertigkeit hätte sein können, endete oft in einer Stereotypisierung aussereuropäischer Kulturen, die diesen Völkern nicht gerecht wird.

    Doch hier endet die Geschichte nicht – denn eines der zentralen Vermächtnisse des Kolonialismus sind die grossen Gemeinschaften von Menschen aus ehemaligen Kolonien, die heute in einer Art Diaspora in aller Welt leben. Die Distanz zwischen europäischen und nichteuropäischen Kulturen verschwindet in diesen Gemeinschaften im Handumdrehen – enthalten sie doch in sich selbst Momente des Aufeinandertreffens und der Verschmelzung zahlreicher Kulturen und Perspektiven. Für Anna stehen libanesische und russische Kulturen Seite an Seite, so wie in mir britische und indische Kulturen miteinander eng verbunden sind. Diese ‚Begegnung‘ von Kulturen zeigt sich auch in einer neuen Generation von Liedkomponist*innen wie etwa Reena Esmail und Kamala Sankaram, die beide indische Wurzeln haben. Ihre künstlerische Vision macht es möglich, dass diese unterschiedlichen und vormals ‚fernen‘ Kulturen im Klang zusammenkommen: Sie verbinden Elemente der indischen klassischen Musik mit solchen des europäischen Kunstliedes und schaffen so ein neues, unverwechselbares Idiom, das aus einem tiefen, nachhaltigen Interesse an – und einer Ausbildung in – beiden Kulturen hervorgeht.

    Die Geschichte der Entwicklung des Liedes ist die Geschichte unserer Gesellschaft – einer multikulturellen und globalen Gemeinschaft, die durch den wechselseitigen Austausch von Kulturen entsteht. Auf diese Weise kommen uns fern erscheinende Menschen und Orte näher; unser Verständnis vertieft sich, unsere Menschlichkeit wird gestärkt, und das ferne Ufer (bzw. „The Far Shore“, um einen Titel von Kamala Sankaram aufzugreifen) wird sicher erreicht und uns allen vertraut.

    (Übersetzung: Christoph Berner)